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  Frankfurter Allgemeine
19.05.2006

Eine Mischung aus Krassem und Banalem


Von Christian Geyer

Es ist eine Behörde, es ist eine Behörde! Perdu die ganze Mythologie. Ein Geheimdienstgelände, auf dem man Fotos machen darf, hat sein symbolisches Kapital im wesentlichen aus der Hand gegeben. Das ist so, was immer nun ans Tageslicht kommt an Krassem (siehe der gekachelte „Erstversorgungsraum“, die betrachtende Phantasie schwankt zwischen Desinfektions- und Folterkammer) und Banalem (siehe im Grunde den Rest der Bilder).

Der Fotokünstler Andreas Magdanz durfte ins BND-Areal von Pullach und unter Daueraufsicht Fotos machen: von allem, was ihm vor die Linse kam, nur nicht von Personen. Gesammelt sind die menschenleeren Bilder in dem Fotoband „BND - Standort Pullach“, der soeben bei DuMont erschien. Noch eindringlicher, noch bleierner hätte nur Kafka beschreiben können, was mit dem Wort „Beklemmung“ gemeint sein könnte.

Prinzip gläserner Schlapphut

Magdanz' Anfrage beim BND stammt von Ende 2003. Im August 2005 erhielt er erstmals Zutritt zur Liegenschaft des Bundesnachrichtendienstes. Welches Kalkül der Aussendarstellung mag hier vom BND verfolgt werden? Wir wissen es nicht und werden es nie erfahren. Der Künstler hatte freie Hand, lesen wir. Vielleicht steckt hinter dem plötzlichen Prinzip gläserner Schlapphut ja auch nur das Anliegen, vor dem Umzug der meisten BND-Leute nach Berlin noch ein paar professionelle Bilder vom guten alten Pullach ins Album der Dienste zu kleben. Andreas Magdanz ist mit dem Ablichten symbolisch aufgeladener Areale vertraut. Er machte Fotoprojekte über den ehemaligen Regierungsbunker der Bundesrepublik oder das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.

Welch ein Einblick ins Trostlose nach all den Jahren der Tarnung unter falschem Namen. Wir erinnern uns: Jahrzehntelang war das hermetisch abgeschirmte BND-Gelände offiziell als Teil der „Bundesvermögensverwaltung, Abteilung Sondervermögen, Aussenstelle Pullach“ ausgewiesen worden. Die Nachbarn sollten denken, dass hinter dem vier Kilometer langen Ring von Mauerwerk und Stahlzäunen Hunderte von Gärtnern, Bienenzüchtern und Finanzbeamten tätig waren. Damals war kalter Krieg, und die Auslandsaufklärung wusste noch, wozu sie da war. Sie hatte alle Hände voll zu tun, aus der Krawatte heraus Schnappschüsse von verdächtigen Sowjets zu schiessen und ganz und gar keine Zeit, ihre eigenen Büros von Fotokünstlern ablichten zu lassen. Heute, da der Arbeitsdruck im Ost-West-Verhältnis nachgelassen hat, ja gegen Null tendiert, hat die (Foto)kunst in Pullach bessere Karten.

Trampelpfad ins Herz der Finsternis

Jetzt, da wir dank Andreas Magdanz den Durchblick haben, schnurrt der Mythos dieser gediegenen bundesrepublikanischen Gründungseinrichtung auf Büro- und Kommunikationstechnik zusammen, auf durchnumerierte Baracken, Treppenhäuser, Schreibtische, Bunkergänge, Aktenordner, kurzum: auf einen planerischen Gedanken mehr. Was auf dem Foto wie ein Notausgang aus der Geschichte aussieht, wie postkonziliare Beichtstühle, ist nur ein Trampelpfad ins Herz der Finsternis. Es sind die gepanzerten Schränke der IBM-Computer, in denen keine Geschichte je verlorengeht, auch wenn sie ohne Bedeutung bleibt.

Auch da, wo Pullach wie ein aufreizend geschichtsloser Ort wirkt, macht der Fotokünstler die Spuren der Geschichte sichtbar. Tatsächlich hat das Funktionale des Pullacher Komplexes im Lauf der Zeit vielfältige Metamorphosen erfahren. Bevor die Geheimorganisation Gehlen, also die zur Spionageeinheit umfunktionierte frühere Abteilung „Fremde Heere Ost“ im Oberkommando des Heeres, 1947 hier Einzug hielt, war das Pullacher Gelände in der Nazi-Zeit als „Reichssiedlung Rudolf Hess“ sowie als „Führerhauptquartier Siegfried“ in Beschlag.

Nur ein Hüpfer zum Alten Fritz

Für die Agenten der jungen Demokratie ein idealer Ort, um streng abgeschottet nicht nur über die Weltläufte nachzudenken, sondern auch autark mit ihren Familien zu sein. Hier konnte man ungestört im Geheimen leben und arbeiten, in einer Stadt in der Stadt sozusagen, mit eigenem Kindergarten, eigener Schule, weiteren eigenen Sozialeinrichtungen und nicht zu vergessen: mit eigener Denke. So stellt sich das BND-Gelände als surreale Collage von Reichsarbeitsdienst-Baracken und Verwaltungsklötzen aus den Siebzigern dar.

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen als eine am Schreibtisch praktizierbare Lebensform. Besonders natürlich an jenem Schreibtisch, von dem aus der Blick jederzeit über die verschiedenen Weltzeituhren schweifen kann. Mit der Fernsicht auf die Zeit lassen sich die berufsüblichen Fragen im Weltmassstab beantworten: BND-Wächter, wie lange ist die Nacht? Wann landet das Flugzeug des CIA-Kollegen? Vom Weltzeituhrenbüro ist es in Pullach dann nur noch ein Hüpfer zum Ölbild des Alten Fritz aus der ehemaligen Villa Martin Bormanns, heute gern gesehen als repräsentative Hintergrundfolie der Macht in einem jener Ausbildungssäle, in welchem der Nachwuchs lernt, wie er sich im Falle einer Bagdader Entführung zu verhalten hat oder wie die jüngste Order aus dem Kanzleramt zu interpretieren ist, von Stund an die Journalisten in Ruhe zu lassen.

Dass der zunehmend entblösste Dienst von souveräneren, in diesem Fall heisst das also: zugeknöpfteren Zeiten träumt, ja dass hinter den Mauern von Pullach überhaupt ein Traum gedeihen kann, ein abgeblätterter und ramponierter vielleicht, ein vom Leerstand bedrohter Traum, aber eben ein Traum - auch dafür mag das Ölbild des preussischen Potentaten ein Fingerzeig aus der Geschichte sein.
 
 
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