Hambacher Forst,

eine forensische Bestandsaufnahme

100 Studenten, zwei Hochschulen, 10.000 Bilder,


so lautete der Titel eines in der Folge sehr erfolgreichen studentischen Projekts um den Widerstand im Hambacher Forst in 2015.1  


Nun sind drei Jahre vergangen und das Thema wäre innerhalb der Seminare für Photographie an der RWTH Aachen nicht wieder aufgegriffen worden, hätte es nicht eine völlig unerwartete Wende in der Entwicklung des Tagebaus und der damit verbundenen juristischen Auseinandersetzungen gegeben – den einstweiligen Rodungsstop für die Frühjahrssaison 2018.

Die Entscheidung des OVG Münsters, unmittelbar einer Klage des BUND folgend – und nur vor dem Hintergrund eines vielfältigen Protestes zu sehen, der größere Teile der Bevölkerung erreicht hat und in den Medien regelmäßig Resonanz findet.

Hambacher Forst, Manheim, Haus Bochheim muss es jetzt heißen – in viele weitere Kapitel unterteilt und wieder sind es Studenten – in diesem Fall 30 Studenten der RWTH Aachen, die in mehrere Gruppen aufgeteilt, über drei Tage hinweg, vom Morgen bis in den Abend hinein, ebenfalls Zeugen einer Landschafts- und Kulturvernichtung wurden und selber Zeugnis davon geben.

Im Hambacher Forst wird man zunächst in die schwindelerregenden Höhen der Baumhäuser geführt. Christian Dos Reis war es, der die Besetzer mit analogen Einwegkameras ausstattete und diese dann im Morgengrauen, aus 20 Meter Höhe, von einem der noch verbliebenen Baumriesen aus, großartige, bewegende Blicke festhielten – eindrückliche Zeugnisse der unmittelbar drohenden Zerstörung, Zeugnisse aber auch von Schönheit, Wagemut, Tapferkeit und einem Kampf von David gegen Goliath.

Das Kapitel Waldbewohner von Christian Dos Reis gewährt einen unmittelbaren Blick auf den Grenzverlauf, das künstliche Landschaftsprofil, die alte A4 als Demarka-
tionslinie, die Rote Linie und auf die Menschen, die verantwortlich sind für den Widerstand, die Baumhäuser, Oaktown, Beechtown (Bloody-Beech-Town), benannt nach einer Blutbuche in diesem Teil des Hambacher Forstes, der Siedlung auf der Wiese und vielem mehr.

Wir sehen in der Folge über das Buch verteilt in junge Gesichter, vermummt und ohne Vermummung, die keinen Augenblick lang in das kriminelle, gewalttätige Bild passen wollen, das in weiten Teilen der Boulevardpresse und allen voran dem Kölner Stadtanzeiger generiert wird.

Michaela Pflaums Activisten Camp, gibt den Blick frei auf die Siedlungen im Wald, ihre kreative Architektur, ihre Akteure, die mit offenen Gesichtern in die Kamera strahlen und die „Hello Kitty Molotov-Flasche“, die auf einem Sockel stehend, humorvoll mehr symbolischen Charakter hat, als das sie grenzenlose Gewaltbereitschaft signalisiert.

Und ein erster Blick auf das Zentrum der Bürge, läßt erahnen welche Schönheit der Wald noch birgt und was den uralten Mythos, den ehemaligen Sehnsuchtsort der Deutschen ausmacht.

Leonie Poulheims Bilder künden schließlich von dem, was unmittelbar – in der kommenden Rodungssaison – sofern sie nicht ebenfalls durch ein Gericht unterbunden wird, zu erwarten sein wird; eine Landschaft gleich der von Millionen Geschossen zerriebenen Landschaften des Ersten Weltkrieges an der Somme, bei Verdun oder der Piccardie – gleichwohl nachhaltiger zerstört als es je ein Geschoss oder Krieg zu leisten vermag.

 
Manheim bedeutet einen kleinen Ortswechsel, südlich des Hambacher Forstes gelegen und bis auf eine Handvoll Bewohner bereits verlassen, ist es nur noch ein Schatten eines ehemals belebten Ortes.

Hier gab es keinen Widerstand und keine Gemeinschaft, die dieses Begriffes würdig gewesen wäre, geschweige denn eine Kirche, die in Anbetracht der Zerstörung von so viel Schöpfung aufbegehrt hätte – die Abwesenheit von all‘ den beschworenen Tugenden legt einen Schleier von Tod und beginnender Verwesung über den Ort.

Nadine Do zeigt uns den letzten Bus und die einsame alte Frau auf dem Rad, die 30 Jahre hier gelebt hat. Lea Rappke und Marica Vitt greifen gemeinsam in einer Typologie die architektonischen Strukturen von Straßen, Kreuzungen und Hauseingängen auf; den Marktplatz, die Bergheimer Straße – kaum mehr als Requisiten in einem Potemkin’schen Dorf.

Thilo Loose mit einem konzentrierten, präzisen Blick auf Besonderheiten, Geschmacklosigkeiten, aber ohne Vorzuführen – macht er den Verlust greifbar.

Lucy Wang gibt dem Betrachter neben Straßennamen die geographischen Koordinaten mit auf den Weg – eine vorausschauende Maßnahme, sind sie doch die einzig verbleibenden Orientierungspunkte, wenn hier abgerissen, spurlos vernichtet worden ist und ein großes Loch an diese Stelle tritt.

Amr Hamdis Bilder erinnern an den Durchzug eines Tornados, sind aber nicht die Spuren göttlicher Urgewalt, sondern menschengemacht und Zeugnisse erster Zerstörungen durch das RWE.

Asyl und die Forderung nach „Verbesserungen, Disziplin und mehr Gewalt“ begleiten die gezeigten, zurückgelassenen Asylanträge, die Franziska Müller so irritierend kryptisch in Szene setzt.

 
Karina Fenn greift in Ihrem Kapitel „Klang“ Details auf und setzt sie monochromen Flächen gegenüber; die Spuren einer versuchten Plünderung, der Unterboden eines auf dem Dach liegenden PKW‘s vor rosa, weißen Flächen und Holztextur.

Der Grabstein auf dem Dachboden, leere Garagen und Scheunen zeigen die S/W-Aufnahmen von Sara Hirsch, gefolgt von der Bäckerei, einer Bildserie von Sophie
Laukemper, die vom Erdgeschoß bis unters Dach die ehemalige Dorfbäckerei und das Heim der Bäckersfamilie seziert.

Clara Rendon und Jessica Swaski zeigen uns aus der Zeit gefallene Motorsport-Bilder eines Jugendzimmers und das Porträt eines unter Krätze leidenden und aus der Kleidersammlung versorgten Flüchtlings, die zahlreich in Manheim ihre Unterkunft gefunden haben – damit schließt die Bildstrecke von Manheim.

 

Haus Bochheim, das letzte Kapitel in unserer Publikation, zeugt verdichteter als die Kapitel zuvor, von der vielfältigen Vernichtung von Geschichte, Schönheit und
Würde, von Kultur- und Naturdenkmälern


Ein Ort, gute 800 Jahre alt, als sogenannte Grangie durch Zisterzienser bewirtschaftet, als Denkmal eingetragen und mit uraltem Baumbestand, wird auf einer Linie mit dem Hambacher Forst liegend, zeitgleich mit ihm oder möglicherweise vor dem Wald vernichtet werden – vor ihm vor allem aus dem Grund des nicht vorhandenen Widerstandes, der kampflosen Preisgabe.

Einleitend sehen wir ein Bild, einen Dachbodenfund von Jörg Scépanski, der das Haus Bochheim möglicherweise um die vorvorige Jahrhundertwende zeigt – unberührt und nicht ahnend, das eine völlige Auflösung dieses Ortes möglich sein kann und kommen wird.

Eva Mainz beginnt mit Außenbereich einen einleitenden Bildzyklus, der in Komposition, Lichtführung und Qualität jedem Serien-Blockbuster gerecht werden könnte und den Betrachter sensibel um das Gebäude führt, sich ihm aus dem angrenzenden Wald von der Rückseite her
nähert und in einem Blick aus der zweiten Reihe, genügend Phantasiefläche für eigene Interpretationen läßt.

Analytischer, damit nicht weniger sensibel und sehr präzise öffnet Mandy Becker die Flügeltüren und führt durch das Erdgeschoss und 1. Obergeschoss.

Großzügige Räume voller Handwerkskunst in Böden, Stuckdecken, Treppen und Einbaumöbeln, berührende Ausblicke aus Küche und Wohnraum begegnen uns und bei aller Abwesenheit ist doch die Beseeltheit dieser Räume präsent.

Negin Nobarianasl setzt diese Serie und einen vergleichbaren Ausdruck fort, während Leonard Teepes‘ analytischer Blick und sein konzeptionell stringentes Vorgehen den Blick geradezu steuern; die Bildpaare in Gesamt- und Detailansicht zwischen Abbildung, Dokument, Atmosphäre, Verwundung und Installation oszillieren. 

Yuil Chang verliert sich schließlich im Dachgeschoß und beendet mit eindrucksvollen Bildern aus ungewöhnlichen Perspektiven die Bestandsaufnahme des Wohnhauses Bochheim.

Pia Körzdörfer schließt das Buch und das Kapitel Haus Bochheim mit Bildern der großen Scheune – deren Charme sie sich nicht entziehen wollte und vor deren Tor noch uraltes Kopfsteinpflaster zu erkennen war.

 
Mit der vorliegenden Arbeit haben die Studierenden einen greifbaren Abschluß auf den Weg gebracht, der über das übliche Anforderungsprofil der kleinen Seminare deutlich hinausgeht.

Es waren und sind nicht nur erste Fingerübungen im Bereich der Photographie – einige sind zum wiederholten Male dabei – die diese Arbeit ausmachen; es ist auf der einen Seite die Auseinandersetzung um die formalen Aspekte bildnerischer Gestaltung und einer folgenden Publikation, die redaktionell von einer kleinen Gruppe betreut wurde und auf der anderen Seite, eine fordernde, aufwühlende Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen, politischen Prozessen, die für viele der Teilnehmer weit entfernt schienen.

Hambacher Forst, Manheim, Haus Bochheim zeugt von engagiertem Arbeiten, an vielen Stellen auch von großem Können, technisch, konzeptionell und intellektuell – in der Publikation, thematisch, inhaltlich, als weiterer Beweis für die fortschreitende, hemmungslose Zerstörung unserer Landschaft, unserer Natur- und Kulturdenkmäler.

Nordwestlich des Tagebaus Garzweiler II sind jüngst Borschemich und Immerath der totalen Vernichtung zum Opfer gefallen; auch hier Jahrhunderte alte Klosteranlagen und Gutshöfe deren Grundsteine aus der Zeit der Römer stammten. In den Türmen der Kirchen die letzten Weißstorchen-Nester und viele hundert Jahre alte Dorf-Linden – alles unwiederbringlich zerstört, kein Widerstand.

Und die Prognose für den Hambacher Forst, Manheim, Haus Bochheim sind trotz des Rodungsstops schlecht. RWE läßt dem Forst großflächig das Grundwasser entziehen, setzt auf das Absterben der verbliebenen Baumriesen und jüngst hat die Bezirksregierung in Arnsberg den Rahmenbetriebsplan bis 2020 und damit die weitere Zerstörung genehmigt.

Hannelore Kraft und die SPD sitzen zwar nicht mehr im Amt, aber Armin Laschet‘s CDU samt FDP machen keinerlei Anstalten den Prozess zu stoppen – Die Grünen sind seit Jahrzehnten Statisten.

„Dekarbonisierung“ tragen alle im Mund und achten doch nur und ausschließlich auf den eigenen Machterhalt und in diesem Fall auf den Schulterschluss mit einem Konzern, dessen Management über Jahrzehnte die Energiewende missachtet hat, der börsennotiert auf Profit und Dividende setzt.

Ein System der gegenseitigen Belohnung hat dieses ungeheure Verbrechen über Jahrzehnte möglich gemacht und jetzt? RWE hat eine Talfahrt an den Börsen erlebt und versucht sich mit Innogy zu retten und einen grünen Anstrich zu geben – Städte wie Essen, die atemberaubende Stückzahlen der Aktien des Mutter-Konzerns einst kauften, sind tief in die roten Zahlen gerutscht und eigentlich bank-
rott.

Und die Politik und ihre Protagonisten – ebenfalls ein jahrzehntelanger inzestuöser Prozess, der ausschließlich von einem grundkaputten Typus Mensch durchsetzt ist. Die Wahlen und die damit verbundene Regierungsbildung zeugt jüngst von dem totalen Versagen oder von einer ausgeprägten Todessehnsucht?

Nutzen wir diese Todessehnsucht und akzeptieren wir nicht länger die fatale Umwelt-, Flüchtlings- Bildungs- und Wirtschaftspolitik dieses großartigen Landes – geben wir aus der Mitte heraus den Todesstoß.



Prof. Andreas Magdanz








 
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